„Vom Papierrecycling können andere Branchen lernen“
Interview mit Alexander Liedke, Manager Sustainable Business & Markets beim WWF Deutschland
Herr Liedke, angesichts des Klimawandels und der weltweiten Ressourcenknappheit gelten Recyclingstrategien und Kreislaufmodelle als zentrale Lösungsansätze für eine Wirtschaft, die unsere Lebensqualität nachhaltig steigert und die Umweltauswirkungen ebenso nachhaltig mindert. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund den Stoffkreislauf des Papiers und papierbasierter Verpackungen ein?
Das Thema Circular Economy ist erfreulicherweise sehr aktuell. Im Kern geht es darum, den Einsatz von Primärmaterial so weit wie möglich zu reduzieren und die Kreisläufe in Bezug auf Material- und Energieeinsatz zu optimieren. Seit vielen Jahren gibt es in Deutschland grundsätzlich gut funktionierende Recyclingsysteme, zum Beispiel das des Altpapiers. Die Papierindustrie kann also anderen Branchen sehr viele Ansatzpunkte für effizientes Recycling bieten. Es stellt sich natürlich trotzdem die Frage, wie die Kreisläufe noch optimiert werden können, zum Beispiel durch eine Wiederverwertung von bereits produzierten Verpackungen, Gewichtsreduktionen oder Vermeidungsstrategien.
Es ist wichtig, das gesamte Papierwirtschaftssystem im Rahmen der planetaren Grenzen zu betrachten. Dieser Kontext-Bezug muss noch hergestellt werden. In den letzten Jahren ist der Pro-Kopf-Papierverbrauch stetig gestiegen und liegt in Deutschland inzwischen bei über 250 kg pro Kopf und Jahr. Konsumieren wir trotz aller Recyclingmaßnahmen nicht trotzdem zu viel? Bei der Bewertung müssen wir zwischen den verschiedenen Einsatzzwecken des Papiers unterscheiden: Den Trend, beim Hygienepapier mehr Frischfasern einzusetzen, beobachten wir mit Sorge. Bei Verpackungen kommt oftmals, je nach Verwendungszweck, Recyclingpapier zum Einsatz. Das ist prinzipiell zu begrüßen. Natürlich darf nicht außer Acht gelassen werden, wieviel Frischfaser in Summe auch für das Recyclingsystem benötigt wird.
Welche Rolle spielt neben dem Recyclingaspekt die Tatsache, dass Verpackungen aus Papier wie Wellpappe aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden?
Der prinzipielle Vorteil von nachwachsenden Rohstoffen ist, dass sie eine größere Rolle in einer dekarbonisierten Wirtschaft haben können, die in Deutschland für das Jahr 2050 angestrebt wird. Der Klimaschutzplan der Bundesregierung gibt dabei die Richtung vor. Die Papierindustrie muss ihren Beitrag zur Energiewende leisten, indem sie regenerativ erzeugte Energie einsetzt. Der Druck auf die Wälder wird durch andere Industrien und Akteure verstärkt werden. Es sind Betrachtungen über die Papierindustrie hinaus notwendig – die individuelle Betrachtung einer einzelnen Branche kann ab einem bestimmten Zeitpunkt problematisch werden. Es kommt auf die Gesamtmenge an – Verpackungen sollten nur dort eingesetzt werden, wo sie auch tatsächlich benötigt werden. Steigt der Papierkonsum in Deutschland weiter, bei gleichzeitig steigender Holznachfrage anderer Industrien, kann es in Zukunft zur Übernutzung von Wäldern kommen, was heute schon in manchen Teilen der Welt der Fall ist.
Verpackungen aus Papier genießen wegen des Recyclingcharakters großes Ansehen beim Verbraucher. Was können Industrie und Handel tun, um das Vertrauen weiter zu stärken?
Ich denke, der Verbraucher muss über Vorteile informiert werden oder zumindest die Möglichkeit haben sich zu informieren. Die Vorteile müssen aber auch klar und transparent vorliegen: Auf Produktbasis kommt es natürlich auf die wissenschaftlich einwandfreie Ökobilanz an, aber auch darauf, welche Rolle welches Produkt in einer dekarbonisierten Wirtschaft einnehmen kann. Der Einsatz von Stoffen, die das Recycling behindern können – wie etwa bestimmte Druckfarben – sollte vermieden werden, so dass langfristig der Einsatzbereich von Recycling-Verpackungen steigen kann und gleichzeitig keine imageschädigenden Berichte möglich sind. Grundsätzlich müssen die Verpackungen deutlich recyclinggerechter gestaltet werden, das gilt insbesondere für Kunststoffe und Verbundmaterialien. Verpackungen, die aufgrund schlechter Recyclingfähigkeit bei der Sortierung im Restmüll landen, haben im Sinne einer Kreislaufwirtschaft keinen Wert.