Mit Mehrweg auf dem Irrweg

Hohe Kosten, lange Transportwege: GVM-Studie sieht Nachteile für E-Commerce bei starren Mehrwegquoten 

Über das Ziel sind sich alle einig. Aber die Wege zu ökologisch sinnvoller Gesetzgebung führen immer wieder in die Irre. Aktuelles Beispiel ist der Gesetzgebungsprozess für eine europäische Verpackungsverordnung (PPWR – Packaging & Packaging Waste Regulation). Im November 2022 wurde der Entwurf für eine PPWR publik, die alle Verfechter der Kreislaufwirtschaft vor den Kopf stoßen musste. Als genereller Lösungsansatz galt der EU-Kommission die Einführung bindender Mehrwegquoten. Und auch wenn das Papier schon einige Ausnahmen für Transport- und Umverpackungen aus faserbasierten Materialien wie Papier, Pappe und Wellpappe vorsah, sorgten Mehrwegquoten für Onlineverpackungen oder Haushaltsgroßgerate für Verwunderung unter Experten. Welche ökologischen Vorteile sollte die einseitige Bevorzugung von Mehrwegverpackungen gegenüber Kreislaufverpackungen bringen?

 

Inzwischen hat das EU-Parlament eindeutig Position bezogen und sich dafür ausgesprochen, bestehende, gut funktionierende Kreislaufsysteme wie den Stoffkreislauf der Wellpappe zu schützen.  Aus gutem Grund, denn die Faktenlage widerspricht dem von der Kommission angenommenen Vorteil für Mehrweg klar. Mit starren Mehrwegquoten für E-Commerce- und bestimmte Transportverpackungen wären gravierende Nachteile und vergleichsweise wenig ökologischer Nutzen verbunden. Dieses Fazit zieht die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) in einer im Juli 2023 veröffentlichten Studie, die im Auftrag des Verbandes der Wellpappen-Industrie e.V. (VDW) erstellt wurde.

 

Demnach wären mit dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Szenario für das Jahr 2040 elf Prozent mehr Kunststoffverbrauch, 200 Prozent mehr Transportkilometer, 80 Prozent mehr Lagerfläche und um bis zu 400 Prozent höhere Kosten für Packmittel verbunden. Mehrwegbehälter müssen gelagert, angeliefert, zurückgeführt, gereinigt und wieder für die Befüllung bereitgestellt werden – ein enormer Logistikaufwand. Allein die zusätzlich erforderlichen Transportkilometer beziffern die Fachleute der GVM auf 400 Millionen – eine Distanz, die 10.000 Erdumrundungen entspricht.

 

Als negativen ökologischen Effekt führen die Mainzer Forscher auch den nach ihren Prognosen um elf Prozent erhöhten Kunststoffeinsatz an. Mehr Mehrweg heißt also zunächst noch mehr Verpackungsmaterial, das aus fossilen Rohstoffen gewonnen wird. Verpackungen aus Wellpappe dagegen haben ihren Ursprung in nachwachsenden Pflanzenfasern und werden in Deutschland zu gut 93 Prozent recycelt.  Würde der Kommissionsvorschlag Realität, müssten allein für den Aufbau der Mehrwegsysteme im ersten Jahr 285 Kilotonnen Mehrwegverpackungen zugekauft werden. Das überträfe die Menge der zeitgleich eingesparten Wellpappe um 146 Kilotonnen. Verpackungseinsparung sieht anders aus.

 

Wie geht es weiter? Nun kommt es darauf an, dass der Rat der Umweltminister den richtungweisenden Beschluss der europäischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei der anstehenden Beschlussfassung berücksichtigt. Auch das Forum Ökologisch Verpacken hat sich mit einem offenen Brief an die deutsche Umweltministerin für den richtigen Schritt zu mehr Kreislauf statt starrer Mehrwegquoten stark gemacht. Beobachter rechnen damit, dass die PPWR noch vor der nächsten anstehenden Wahl zum Europäischen Parlament Anfang Juni 2024 verabschiedet wird. Der Weg zu nachhaltiger Verpackung ist vorgezeichnet. Jetzt ist die Politik am Zug.