Ressourcenmanagement und planetare Grenzen
Wie wir Wohlstand und Zukunftsfähigkeit in Übereinstimmung bringen – Interview mit FÖV Beiratsmitglied Jörg Sommer
Europa hat gewählt. Und auch wenn sich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und Europa bei ihrer Stimmabgabe im Juni eher von Themen wie Migration oder Ukraine-Krieg haben leiten lassen – der Klimawandel lässt sich nicht abwählen. Die Vorsorge für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen wird ganz oben auf der politischen Agenda bleiben müssen. Im Fokus bleibt dabei auch der Beitrag von Verpackungen zum klimaverträglichen Umgang mit Ressourcen. Erst im April hatte das Europäische Parlament dazu ein entsprechendes Regelwerk angenommen (siehe Beitrag dazu in diesem Newsletter). Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Mitglied im Beirat des Forum Ökologisch Verpacken hat sich als Autor mehrfach für einen veränderten Umgang mit unseren begrenzten Ressourcen ausgesprochen. Im Interview erläutert er, welche Rolle dabei das Prinzip Stoffkreislauf spielt.
Der menschengemachte Klimawandel ist inzwischen für jeden spürbar geworden. Man denke nur an die wiederholten Extremwetter-Ereignisse. Damit verbunden sind auch gewaltige Kosten – bis 2050 zwischen 280 und 900 Milliarden Euro, wie eine aktuelle Studie schätzt. Die Lasten tragen kommende Generationen. Tut die Politik in Deutschland und Europa genug, um die eigenen Klimaziele zu erreichen?
Nein. Nicht einmal im Ansatz. Dabei wissen wir ganz genau, was wir eigentlich tun müssten. Der gültige Pariser Klimavertrag beinhaltet ein globales Langfristziel zur Begrenzung der Erderwärmung auf „deutlich unter 2 Grad" sowie die Verpflichtung, eine Begrenzung auf 1,5 Grad anzustreben.
Dazu muss so bald wie möglich der Scheitelpunkt der weltweiten Emissionen erreicht und durch rasche Minderungen die Nettoemissionen zur Mitte des Jahrhunderts auf null gesenkt werden. Dazu hat die deutsche Bundesregierung den Klimaschutzplan 2050 verabschiedet, der das auch vorsieht.
Der Rechtsrahmen ist also da. Nur die Praxis stimmt nicht damit überein. Nach aktuellen wissenschaftlichen Modellen schneidet Deutschland sogar schlechter ab als alle anderen Flächenländer in der EU. Würde die ganze Welt so wirtschaften wie Deutschland, läge die Erderwärmung bis 2100 demnach bei sagenhaften 4,4 Grad. Wir müssen also nicht „ein bisschen mehr tun“. Wir müssen endlich richtig Tempo aufnehmen.
Der ungebremste Verbrauch fossiler Rohstoffe ist einer der Hauptverursacher von klimaschädlichen Emissionen. Was können wir tun, um diesen Bedarf durch andere Rohstoff- und Energiequellen zu decken?
Zunächst mal müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, dass wir die oben geschilderte Perfomance nur mit Substitution erreichen. Fossile Rohstoffe oder Energiequellen nur durch nachhaltigere zu ersetzen, ist eine wichtige Maßnahme. Aber sie wird nicht genügen. Wir müssen, auch wenn es schwerfällt, zusätzlich über Suffizienz sprechen. Also über Maßnahmen, die uns dabei helfen, deutlich weniger Rohstoffe und Energie verbrauchen.
Substitution und Suffizienz sind die beiden Säulen, auf denen ein klimaverträgliches Deutschland gestaltet werden muss – und die dazu nötige Transformation unserer Art zu leben, zu arbeiten und zu konsumieren wird eine Herausforderung, deren Dimension wir heute nur erahnen können. Da kommen andere Dinge auf uns zu als Verbrenner-Ende oder Tempo 130. Und auch das klingt heute für manche schon wie das Ende der Zivilisation. Ich prophezeie: Unsere Enkel werden eines Tages über diese Transformationsschmerzen nur den Kopf schütteln.
Welchen Beitrag können Verpackungen leisten, um den Ressourcenverbrauch zu vermindern und gleichzeitig unseren Wohlstand zu sichern?
Eine ganze Menge. Sicher nicht so viel, wie im Bereich Verkehr oder Gebäude möglich ist. Aber auch Verpackungen können zu beiden Aufgaben beitragen: Rohstoff-Suffizienz und Energieeinsparung.
Eine energieintensive Produktion von Verpackungen aus fossilen Rohstoffen zum einmaligen Gebrauch wird in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Und auch Mehrwegsysteme stoßen an ihre Grenzen. Mehrweg heißt eben auch meist mehr Weg. Und da schlägt die Energiefalle wieder zu. Die beste Verpackung ist jene, die wir gar nicht erst produzieren müssen. Die zweitbeste Verpackung ist jene, die aus nachwachsenden Rohstoffen energiesparend hergestellt, über möglichst kurze Wege transportiert und anschließend in hoher Quote von 90 Prozent oder mehr wieder im lokalen Stoffkreislauf verwendet wird.
Wellpappenverpackungen gelten als beispielhafte Kreislaufverpackungen. In Deutschland wird fast jede gebrauchte Wellpappenverpackung recycelt. Wie kann dieses Prinzip für die angesprochenen Zukunftsaufgaben noch besser genutzt werden?
Wellpappe hat nicht nur das Potenzial eine besonders klima- und umweltschonende Verpackungslösung zu sein. Sie ist auf diesem Weg bei uns in Deutschland auch schon sehr weit fortgeschritten. Da muss weder das Produktions- noch das Recycling-Konzept grundlegend verändert werden – anders als beispielsweise bei Glas und Kunststoff.
Aber es gibt auch hier noch eine Menge Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Der Wasser- und Energieverbrauch ist ein Thema.
Die Wellpappenindustrie und ihre Lieferanten aus der Papierindustrie haben hier in den vergangenen Jahren schon große Fortschritte erzielt – eine Entwicklung, die im Interesse des Klimaschutzes weiter vorangetrieben werden sollte.